Der Pianist und Komponist Hans Brehme (1904-1957)
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Der Komponist Hans Brehme (1904-1957) prägte das Akkordeon wie kein anderer in seiner Zeit als vollwertiges Konzertinstrument aus. Seine Kompositionen für Akkordeon solo stellen einen charakteristischen Teilbereich seines kompositorischen Schaffens dar und sind musik- und instrumentengeschichtlich wie musikalisch von besonderer Bedeutung, vor allem in Hinblick auf die Entwicklung des instrumentenspezifischen Repertoires und der Spieltechniken für das Akkordeon in den vierziger und fünfziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts. Brehme ist einer der wichtigsten Wegbereiter des Einzeltonakkordeons in den fünfziger Jahren gewesen. Im ersten Kapitel der Untersuchung wird Brehmes Biographie in den Grundzügen skizziert. Das zweite Kapitel handelt von der Musikerfreundschaft zwischen Brehme und dem Geiger und Bratschisten Ernst Theodor Klemm. Neben Klemms Lebenserinnerungen gibt hierüber vor allem ihre Korrespondenz Aufschluß. Ediert werden Briefe, die Brehmes Zeit in Trossingen und sein Engagement für das Akkordeon zum Gegenstand haben. Abgerundet wird das zweite Kapitel mit der kommentierten Neuausgabe von Klemms Nachruf auf Brehme samt des von Klemm erstellten Werkverzeichnisses des Komponisten. Im Mittelpunkt des dritten Kapitels stehen Brehmes Werke für Akkordeon solo, die in der chronologischen Abfolge ihrer Entstehung behandelt werden. Ausgewertet werden neben zahlreichen anderen Quellen und Dokumenten die Manuskripte der ehemaligen Edition Hohner und der musikalische Nachlaß des Komponisten in der Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz. Im vierten Kapitel werden Brehmes Bemühungen um die Etablierung des Konzertakkordeons gewürdigt. Die drei letzten Kapitel enthalten ein Verzeichnis der Musikalien, eine Bibliographie und die Faksimileausgabe des Manuskripts der ersten Fassung von Brehmes Paganiniana.
Musikforschung
Eine neue Studie beleuchtet das Schaffen des Trossinger Komponisten Hans Brehme Gipfelwerke fürs Akkordeon
TROSSINGEN/REUTLINGEN.
Der Südwesten 1943/44.
Nazideutschland vor dem Zusammenbruch. Über Stuttgart fallen die Bomben der Alliierten. In jenen dramatischen Tagen setzt eine Studie des Duisburger Professors Helmut C. Jacobs ein, die sich mit dem Komponisten Hans Brehme befasst. Denn neben vielen anderen Ereignissen wird zu dieser Zeit die Stuttgarter Musikhochschule nach Trossingen ausgelagert. Eine Fußnote der Geschichte. Aber eine mit Folgen. Denn hier im Schwarzwald gibt es keine Bomben, aber es gibt die Firma Hohner und das Akkordeon. Und hier taucht nun ein Häuflein Musikspezialisten auf, um den Hochschulbetrieb wieder aufzunehmen. Keine Frage, dass es den einen oder anderen reizt, sich mit dem Akkordeon auseinanderzusetzen, zumal Firmenchef Ernst Hohner jeden Schritt in diese Richtung unterstützt. So wird in Trossingen Akkordeongeschichte geschrieben. Das gemütliche Folkloreinstrument wird in die Neue Musik eingeführt, von Komponisten wie Hugo Herrmann und eben Hans Brehme. Mit Briefen, Fotos, Zeichnungen und Notenfaksimiles beleuchtet Jacobs die Aufbruchstimmung rund um das Akkordeon. Neben Brehme und dem in Reutlingen lebenden Herrmann spielt dabei noch ein zweiter Reutlinger eine Rolle: der mit Brehme befreundete Bratschist Ernst Theodor Klemm. Der pointenreiche Briefwechsel zwischen den beiden bildet eine Hauptquelle des Bands. Plastisch und oft amüsant treten dabei die unterschiedlichen Persönlichkeiten hervor. Herrmann ist der Vorreiter. Er gilt als derjenige, der als erster überhaupt ein Stück Neuer Musik für Solo-Akkordeon geschrieben hat. Seit 1935 führt er die Harmonika-Fachschule in Trossingen, in Reutlingen entfaltet er eine umfangreiche Chorleitertätigkeit. Bedingt durch seine vielfältige Arbeit mit Laien behält er ein breiteres Publikum im Blick. Hans Brehme ist dagegen der Avanciertere. Den ausgebildeten Konzertpianisten reizt es, die spieltechnischen Grenzen des Akkordeons bis ins Extrem auszuloten. Auch musikalisch entfernt er sich weiter vom Gewohnten.
Skurriler Streit
Die Rivalität zwischen Brehme und Herrmann mündet in einen skurrilen Streit. Weil Brehme in Potsdam geboren ist, soll er 1952 nicht zu einem von Herrmann mitorganisierten »Schwäbischen Komponistentag« in Tübingen eingeladen werden. Dabei lebt Brehme seit Jahrzehnten im Südwesten. Im Jahr darauf ist der Wahlschwabe dann doch als solcher anerkannt. Herrmann leitet sogar selbst ein Konzert mit Brehme-Stücken. Anhand von Brehmes Werken für Solo-Akkordeon zeigt Jacobs, wie der Komponist systematisch das Potenzial des Akkordeons für die Konzertmusik ergründet. Als einer der Ersten hat er Techniken wie das »Schüttel-Vibrato« vorgesehen. Mehrere seiner Stücke setzen für die linke Hand statt einer normalen akkordgebundenen Tastatur ein Einzelton-Manual voraus. Eine erste Fassung seiner »Paganiniana« zielte sogar auf ein absolut avantgardistisches Instrument mit drei Tastaturen ab: eine Klaviatur rechts und zwei Knopftastaturen links, davon die eine für Einzeltöne, die andere für Akkorde. Paradestück der Virtuosen Brehme-Werke waren zum damaligen Stand für Konzert-Akkordeonisten der Gipfel des Erreichbaren, so das Fazit von Jacobs. Akkordeon-Virtuosen wie Kurt Heusser hatten die »Paganiniana« als Paradestück im Repertoire. »Herbstelegie und Capriccio« entstanden als Pflichtstück für den internationalen Akkordeonwettbewerb 1953 in Stuttgart. Als Brehme 1957 nur 53-jährig an Leberkrebs starb, hatte sich die Akkordeonwelt geändert, das macht die Studie von Jacobs klar. Es gab weiterhin das Akkordeon als »Breitensportgerät« dank Leuten wie Brehme hatte das Akkordeon nun aber auch einen Platz in der anspruchsvollen Kunstmusik einen noch recht schmalen Platz, aber immerhin. Ein spannender Blick in eine Epoche, die durch ihren Pioniergeist fesselt.
Armin Knauer in: Reutlinger General-Anzeiger (5. Januar 2008), S. 44 (Kultur).